Persönliches Statement zur Lehre in Weimar
Interview mit Herbert Wentscher im Ausstellungskatalog Bauhaus heute – Kunst und Lehre in Weimar 2009, Jenoptik-Galerie und Jenaer Kunstverein, 2009
Beziehung zum alten Bauhaus? Lehre nach dem Bauhaus?
Zum historischen Bauhaus pflege ich eine innige Fernbeziehung. In den ersten Jahren meiner Tätigkeit in Weimar befand sich mein Büro im ersten Stock des sogenannten van-de-Velde-Baus. Um dorthin zu gelangen, muss man die Treppe am Wandgemälde der tanzenden Figuren von Oskar Schlemmer emporschreiten. Jedes Vorbeigehen brachte mir die Last und die Lust ins Bewusstsein, die mit dem Anknüpfen an ein solch überragendes Erbe verknüpft sind.
Ich denke, es war Konsens, dass wir 1993 mit Respekt vor dem Erbe antraten, uns aber keineswegs als Nachfolger von Gropius, Itten, Schlemmer & Co. sahen, sondern etwas Neues machen wollten. Ich spreche von einer »Fernbeziehung«, schon aus Gründen des zeitlichen Abstands. Die sich rasant verändernde Welt lässt keine geklonte oder linear fortgeschriebene Identität des Überkommenen zu. Wir sind auch keine Trittbrettfahrer eines international eingeführten Marken-Images. Bestenfalls sind wir in der Lage, dem großen Erbe nach den Brüchen und Verwerfungen, die es nach dem Bauhaus in Weimar gab, nicht besinnungslos zu begegnen, sondern etwa das revolutionäre Potenzial des Bauhauses für unsere Zeit zu definieren. Das kann dann etwa bedeuten, dass wir flexibel auf gesellschaftliche Strömungen reagieren, uns ggf. auch dem Mainstream entgegenzusetzen wissen. Sozusagen ein Labor für das Denken und die Sinne, wo man die Hand an den Puls der Zeit, der Gesellschaft legt.
Ein einendes Manifest scheint jedenfalls in einer Zeit der Atomisierung und Komplexität von Interessen nicht mehr möglich. Jede Künstlerpersönlichkeit vertritt mittlerweile ihr eigenes Manifest. Schaut man genauer hin, erweist sich gerade das frühe Bauhaus keineswegs als so »monolithisch« im Sinne des Manifests, wie es im verknappenden Rückblick oft dargestellt wird. Die damaligen, teilweise recht widerstrebenden Tendenzen finde ich persönlich sehr spannend – in gewisser Weise anregender als die spätere Verschlagwortung des Bauhauses in Richtung »Design & Industrie«, »Kunst & Technik«. In der Weimarer Zeit war beispielsweise mit Kandinsky, Klee, Itten und einigen anderen Lehrern ein expressiver, emotionaler und auch sehr spiritueller Einfluss vorhanden.
Was wir heute noch pflegen, sind breite Übergänge für die Studierenden zwischen den Studiengängen, eine enge Nachbarschaft von Kunst und Design, ohne Berühungsängste und Dünkel. Drehscheibe für solche Begegnungen sind u.a. unsere gut ausgestatteten Werkstätten, die ähnlich wie im Bauhaus eine herausragende Rolle in der Projektlehre spielen. Ferner eine Pädagogik, die die Studierenden ernst nimmt als künftige KollegInnen, ihnen ein hohes Maß an Selbstständigkeit abverlangt und besondere Freiheiten gewährt. Kennzeichnend ist, dass neueste und traditionelle Medien gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Vielleicht trägt es dazu bei, dass eine ganzheitlichere Sicht der Kultur entsteht, die das Spartendenken überwindet und das aktuelle »Gesamtkunstwerk« noch kühner formuliert, als das vor 90 Jahren möglich war.
Dazu gehört die Pflege der Interdisziplinarität, die heute in der Kunst schon sehr ausgeprägt ist. Über den Tellerrand schauen, Mut zum Experiment, Mut auch zum Scheitern als Qualitätssicherungsmaßnahme! Wer nicht artig ist, kommt auch heute noch ins Bauhaus, möchte ich in Anlehnung an die bürgerliche Kinderwarnung bekräftigen. Sich ausprobieren, sich von Erwartungen (auch eigenen) befreien, sich viel anschauen und lesen, ohne die Fähigkeit zu verlieren, im geeigneten Moment alles vergessen zu können, um nicht an Gewusstem und Vorbildlichem hängenzubleiben. Klingt vielleicht wie ein Paradox, aber ich vermute, dass Paradoxa ein wirkmächtiger Bestandteil im kunstspezifischen Denken sind.
Biografische Faktoren und Lehre
Mir gefällt, dass ich an einer Stelle lehre, wo es die Schnittmengen von Kunst und Design gibt, von sogenannter hoher Kultur und Massenkultur, von neuen und alten Technologien. Das schützt vor Schubladendenken und lässt dem Geist Raum zu vagabundieren, ohne sich zu früh festzulegen, z.B. auf einen bestimmten Medienbegriff. In der heutigen visuellen Kultur durchdringen sich unterschiedliche Strategien und Methoden des Umgangs mit Bildern. Es erfordert Recherche und Übung, um den Blick zu schärfen für das, was oberflächlich ist und das, was ich mir auch ein zweites Mal anschauen möchte.
Dass ich als Künstler in der Visuellen Kommunikation lehre und nicht in der Freien Kunst, erkläre ich mir so, dass die Berufungskommission ein Zeichen setzen wollte für interdisziplinäre «Brücken« zwischen den Studiengängen, dass sie die geschärfte Auseinandersetzung mit künstlerischen Vorgehensweisen in bezug auf anwendungsbezogene Arbeitsfelder fördern wollte. Kunst, Kino und Kommunikation haben in unserer Zeit eine zunehmende Tendenz zum Cross-over und zur Konversion, insbesondere im bewegten digitalen Bild. Am Standort meines derzeitigen Büros und der Videowerkstätten in der Bettina-von-Arnim-Straße 1 veranschaulicht sich das: 1912 schrieb Louis Held mit der Eröffnung seiner »Reform-Lichtspiele« auf diesem Grundstück Thüringer Kinogeschichte. Das Bauhaus experimentierte »multimedial« mit Licht, Foto und Bühne; der Bauhaus-Künstler Laszlo Moholy-Nagy schuf 1922 das erste »Medienkunstwerk« der Kunstgeschichte (das »Telefonbild EM 2«).
Gleichwohl öffnet das nicht einer beliebigen, missverständlichen Vermischung Tor und Tür. Es braucht eine geschärfte Wahrnehmung und Erfahrung als Basis für bewusste Entscheidungen, um Sparten und Genres erfolgreich zu wechseln oder Grenzbereiche und neue Formate auszuloten, um fundiert zu entscheiden, in welchem Arbeitsfeld man zuhause sein will und warum. Als ich in den Siebziger- und Achtzigerjahren mit Video arbeitete, war es z.B. sehr reizvoll, das Rezeptions-Spektrum von der Kassette als Sammlerstück für den Heimfernseher bis zur Fernsehausstrahlung oder der Präsentation im Museum und im öffentlichen Raum zu erforschen. Erwartungshaltungen des Publikums wurden verändert, neue Präsentationsformen und Vertriebskanäle entstanden. Ähnliche Umwälzungen geschehen heute durch das Internet.
Die Erfahrung, im Ausland auf andere Lebens- und Kunstauffassungen zu stoßen aber auch Gemeinsamkeiten und Affinitäten zu entdecken, war für mich prägend. Ich hatte das Glück, mit Stipendien in London, Paris und New York studieren und arbeiten zu können. Orts- und Perspektivenwechsel sind zwar manchmal auch anstrengend und verwirrend, aber letztlich Gewinn bringend und unumgänglich für ein zeitgemäßes Künstlerdasein. Deshalb engagiere ich mich für unsere Auslandskontakte und ermutige die Studierenden, unser reichhaltiges Angebot an Austauschplätzen zu nutzen. Ich kenne keinen, der die Erfahrung bereut hätte. Allerdings stellt sich oft heraus, dass man gerne nach Weimar zurückkehrt, u.a. wegen der Freiheit des Studiums und wegen unserer hervorragenden Werkstätten.
Um ein eigenständiges Profil als Künstler und Gestalter zu entwickeln, sollte man sich widerstreitenden Meinungen aussetzen. Es geht darum, ureigene Interessen und Stärken zu erkennen und zu entwickeln. Das ist die beste Motivation, das ist Voraussetzung, dass etwas Authentisches entsteht – eine Arbeit, der man ansieht, dass sich jemand sehr persönliche Fragen gestellt hat – z.B. warum tue ich, was ich tue? Gibt es dafür eine Notwendigkeit? Für wen tue ich das? Welches Medium ist angemessen? Was ist der Kontext für diese Arbeit? Da kann es sehr große Unterschiede geben in den Schlüssen, die jeder Einzelne zieht. Das Bewusstsein entwickeln helfen für die bei der Kreation beteiligten, ineinandergreifenden Faktoren betrachte ich als zentrales Anliegen meiner Lehre. Alles weitere leitet sich daraus ab.