43. Sendung am 26. Mai 2010
Friday, 21. May 2010
Im Mai präsentiert Unicato Experimentalfilme, die jüngst beim studentischen Filmfestival „backup” in Weimar und auf dem Jenaer „Fulldome”-Festival für Kuppelprojektionen Erfolge feierten. Der Juni steht ganz im Zeichen der Unicato Awards, die dieses Mal in Halle/Saale verliehen werden.
Unicato hebt acht unkonventionelle, den herkömmlichen Sehgewohnheiten widerstrebende Filme ins Programm des MDR Fernsehens. Die Auswahl zeigt den Facettenreichtum filmischer Experimente Studierender aus Mitteldeutschland: von abstrakten Kuppelfilmen über zeitgenössische Reflexionen der Fluxus-Bewegung bis hin zu experimentellen Musikvideos.
Leicht hat es der Experimentalfilm in punkto medialer Aufmerksamkeit nicht. „backup” gehört zu den wenigen Veranstaltungen im internationalen Festivalbetrieb, die filmischen Experimenten ein eigenes Podium bieten. Ein wichtiges Forum für diese Gattung ist auch „Fulldome” Jena, schon allein durch das noch recht junge Medium filmischer Kuppelprojektionen. Die konkave 360°-„Leinwand” ist nach wie vor ein fruchtbares Versuchsfeld für adäquate erzählerische Ausdrucksformen.
Doch mit der bloßen Präsentation avantgardistischer Filmbeiträge im deutschen Fernsehprogramm ist es nicht getan. Im Juni werden bereits zum vierten Mal die Unicato Awards verliehen. Zu den sieben Preisen, mit denen die besten Unicato-Filme des zurückliegenden Jahres prämiert werden, gehört auch der mit 1.000 Euro dotierte MDR-Unicato-Award für den Besten Experimentalfilm. Überreicht wird dieser traditionell vom Direktor des MDR Landesfunkhauses Thüringen, Werner Dieste. Der Mitteldeutsche Rundfunk gibt damit Impulse, über die konventionelle Fernsehästhetik hinaus zu denken und zu arbeiten.
Die Unicato Awards werden am 17. Juni, ab 20 Uhr im Kulturpark Halle verliehen. Im Rahmen einer Award Show gehen sieben Preise in den Kategorien „Bester Spielfilm”, „Bester Dokumentarfilm”, „Bester Experimentalfilm”, „Bester Animationsfilm” (jeweils verliehen vom MDR), Bestes Musikvideo (gestiftet von der Firma „Eastpak”), Weimar Filmpreis (verliehen von der Stadt Weimar, gestiftet durch die Sparkasse Mittelthüringen) und der Sonderpreis Europa (vergeben durch die Thüringer Staatskanzlei) an die besten Filme des zurückliegenden Jahres. Musikalisch begleitet wird die Show von dem Elektro-Live-Act „Jack Hosé”.
Rising
Heino Weißflog, Bauhaus-Universität Weimar
Ein Mann versucht sich aus der Gefangenschaft einer surrealen Kuppelwelt zu befreien. Doch der Aufstand bringt ihn nicht an das erhoffte Ziel.
Heino Weißflog hatte für den Film in monatelanger Arbeit eine komplette 3D-Welt am Computer erschaffen. Lediglich die Schauspieler waren real – sie wurden in einer Blue Box im Fernsehstudio der Fakultät Medien aufgenommen und dann in den Film montiert. Der zeitliche Aufwand für die Herstellung des Fulldome-Films betrug das 50- bis 100-fache eines herkömmlichen Spielfilms. Unicato zeigt „Rising” in einer fernsehgerechten Fassung. (6:46 Min.)
Bei FullDome-Filmen werden bewegte Bilder mit Hilfe von sechs synchron arbeitenden Lasern auf die Innenfläche einer Kuppel projiziert. Dadurch sind die Bilder nicht mehr auf die Leinwand beschränkt, sondern umhüllen die Zuschauer und erweitern die Möglichkeiten der bildlichen und räumlichen Darstellung. FullDome-Projekte stellen die Produzenten vor große technische, konzeptionelle und ästhetische Herausforderungen – die Herstellung eines FullDome-Projekts ist extrem aufwändig, zeit- und datenintensiv. Derzeit gibt es nur wenige Orte, an denen solche Produktionen systematisch erprobt bzw. öffentlich gezeigt werden können. Hier ist die Zusammenarbeit zwischen der Bauhaus-Universität Weimar und dem Carl Zeiss Planetarium Jena zukunftsweisend.
Reise zum Mars
Sebastian Binder, Bauhaus-Universität Weimar
In der Musikvideo-Verfilmung des nachgelassenen Science-Fiction-Drehbuchs “Mars” von Walter Dexel aus den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts erzählt Sebastian Binder die abenteuerliche Geschichte dreier Reisenden zum Mars. Der retrofuturistische Musikfilm, der im Rahmen einer Masterarbeit entstand, wurde schließlich als Finalist zu den König Pilsener Webfilm Awards nach Berlin eingeladen (9:00 Min.)
Zum König Pilsener Webfilm-Award
neoFlux-Zyklus
Sascha M. Dornhöfer, Technische Universität Dresden
Ein kleines Opus magnum, das Filmpoet Dornhöfer hier mit dem Master Cut seines bisherigen fluxkompensatorischen Wirkens vorlegt. Dazu seine Sprecherin: „Regelrecht rund wollte er die Sache machen, erwirken, dass der Kreis sich anmutig aber kultiviert schließt, todschick, fesch und tipptopp stilvoll wollte er das beginnen, was andere vermeintlich verrecken ließen. Lohnen sollte es sich für all die sorgenschwer Entrückten, die extra dafür solange am Leben geblieben waren. Eine Lanze wollte er brechen, der Beau, der Dandy – nicht für Pomadenhengste freilich, für Zieraffen und auch nicht für Situationisten. Für die Hoffnung wollte er das tun. Für die Hoffnung.”
Sascha M. Dornhöfer veranschaulicht Wiederaufnahme und Versetzung des Fluxus in 19 Videoarbeiten. Der Zyklus zitiert mit Respekt und Augenzwinkern Sujets und Ästhetik der internationalen Fluxus-Bewegung der 60er und 70 Jahre, die einen Gegenentwurf zum bürgerlichen Kunstbegriff entwickelte. (15:54 Min.)
Der Jederschmarrn
Christian Diaz, Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein Halle
Im wahrsten Sinne ein Abgesang auf die bunten Fernseh-Klischees Bayerns. Der Stop-Motion-Animationsfilm entwirft bei flackerndem Tageslicht surreale Tableaus und bedient sich dafür Motiven von Hugo von Hofmannsthals Theaterstück „Jedermann”. „[...] /für was leben wir denn dann – für was haben wir dann Augen im Kopf und einen Mund und eine Zunge und ein Gehirn und Gedanken und Gefühle?” (3.00 Min.)
Kaffee un Kippen
Jana M. Keuchel, Daniel Wacker, Bauhaus-Universität Weimar
„Ich sitze bei Freunden zum Frühstück nach einer langen Nacht, es gab nichts groß zu feiern, doch wir haben durchgemacht” (Herschel & dwig). Wie so ein Existenzialistenfrühstück aussehen kann, wird im Musikvideo der Band „Herschel & Dwig” lebhaft gezeigt. Während der Protagonist an einem überdimensionalen Aschenbecher lehnt, führen lebensgroße Zigaretten eine Choreografie auf und lassen den Kater verblassen – zumindest für ein paar Minuten. (3:50 Min).
Noesis
Sophie Klevenow, Bristol School of Animation (University of the West of England)
Das griechische Wort Noesis ist die Bezeichnung für einen aktiven, von abstrahierenden Prozessen begleiteten Denkakt. Diese begleiten alle Menschen in der späten Kindheit und formen sie zu Erwachsenen. Dabei werden sie mit Veränderungen und Verlusten konfrontiert. „Noesis” ist ein traditionell unter der Kamera animierter Stop-Motion-Kurzfilm. Der Focus liegt auf den aus Aluminiumdraht handgefertigten und anschließend mit Pappmaché bedeckten Puppen. Technik, Material und Story weisen hier eine enge Verbindung zu einander auf.
Nach ihrem Abschluss an der Bauhaus-Universität Weimar, bot sich der jungen Filmemacherin, Sophie Klevenow, die Chance ihr Studium am größten Animationszentrum Süd-Englands, fortzusetzen. Die Bristol School of Animation bildet in langer Tradition weltweit erfolgreiche Animatoren aus. „Noesis” gewann 2009 unter anderem die europaweit renommierte Auszeichnung für Animationsfilme „UK Canary Award”.
Einzelschicksal
Giacomo Blume, Daniel Plath, Bauhaus-Universität Weimar
Das Nachleben eines Huhns in der Retroperspektive. Ein Spiel mit der Ästhetik und unserer Wahrnehmung von dem, was wir täglich essen. (4:15 Min.)
Frisch machen
Friedemann Ebelt, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Frisch machen bedeutet umgangssprachlich, sich vom Alltagsstress rituell zu säubern, um wieder fit für Gesellschaft zu sein; Seife verleiht dazu die erwartete Sauberkeit und das notwendige Selbstbewusstsein. Aber was verleiht ihr diese Kraft? Ist es der Tiertalg aus dem sie hergestellt wird? Warum wird beim Anblick eines geschlachteten Schweins Ekel empfunden, obwohl Schlachthäuser nahezu sterile Orte sind? Warum bedeutet die Farbe Rosa Sauberkeit, während Schweine als dreckig gelten? Das tägliche Händewaschritual beginnt Ekel auslösen, wenn im eigenen Kopf ein Perspektivwechsel stattfindet. (2.47 Min.)
Zum Download des Films (Rapidshare)
Above
Florian Meyer, Bauhaus-Universität Weimar
Zu mitreißend-kraftvollen Elektrosounds bahnt sich eine vektorisierter Homunculus seinen Weg durch die Schikanen der Planetariumskuppel. Als Hommage an Paul Klee zeigt dieser Clip, wie Synthese von Malerei und Klang als eigene Kompositionsform definiert werden kann.
Florian Meyer gewann mit seinem experimentellen Musikvideo den Publikumspreis beim Fulldome-Festival 2010 in Jena. (2:53 Min.)