19. Sendung am 28. Mai 2008

Wednesday, 28. May 2008

Nur wenige Hinterlassenschaften der DDR befeuern die Gemüter so sehr wie die Plattenbauten in den ostdeutschen Vor- und Innenstädten. Die betongewordenen Visionen einer untergegangenen sozialistischen Gesellschaft stehen in ihrer Tristesse den westdeutschen Plansiedlungen um nichts nach. Dennoch wird „Platte“ in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion zum Spagat gezwungen. Sie ist für die einen Symbol des plansozialistischen Honecker-Staats, die anderen verklären sie mit einem Stoßseufzer zum Inbegriff egalitärer Lebens- und Gemeinschaftskultur. Die DDR ist nicht mehr – doch das Leben geht weiter in den Neubaugebieten zwischen Rügen und Fichtelberg. Wie, das zeigen zwei kurze Dokumentarfilme von Studierenden aus Sachsen-Anhalt und Thüringen. Der Weimarer Absolvent der Bauhaus-Universität, Fabian Gießler, begibt sich in seinem Film in die Lebenswelt der Spätaussiedler. Für die Mehrheit der so genannten Russland-Deutschen in den Neuen Bundesländern ist der Plattenbau ein Stück „Heimat in der Fremde“.
Hannes Gieseler von der Hochschule Anhalt nimmt in seinem genreübergreifenden Dokumentarfilm „Billigland“ eine beinahe ethnografische Bestandsaufnahme des Lebens in den ostdeutschen Plattenbaugebieten vor.

Billigland

Hannes Gieseler
Hochschule Anhalt (FH), Fachbereich Design Dessau (26 Min.)
Herbst 2003 im Osten Deutschlands. Filmemacher Hannes Gieseler begibt sich auf eine Reise durch den Um- und Rückbau Ost entlang der Plattenbausiedlungen Halle-Neustadt, Schwedt, Eisenhüttenstadt und Hoyerswerda. Wer lebt noch hier? Die ehemaligen Prestigeprojekte der DDR sind nunmehr Rentnerparadiese zwischen Abriss und aufgepeppten Plattenbausiedlungen. Die Einstellungen von tristen Plattenbauten und ihrer Bewohner werden durch Interview-Aussagen wie „In den Fensterhöhlen wohnt das Grauen“ und „Ich bleibe ja hier, weil ich mir das Elend ansehen will“ zugespitzt. Es wird eine ambivalente Stimmung erzeugt, die den Zuschauer in eine Welt versetzt, in der die Zeit trotz „Betonbeißern“ scheinbar stehen geblieben ist. Ein Roadmovie, Western und Heimatfilm zu Lage und Lebensentwürfen in der ostdeutschen Provinz. „Billigland“ wurde im Jahr 2005 mit dem Carl-Fieger-Preis und dem Publikumspreis des Leipziger Kurzfilm-Festivals Kurzsüchtig prämiert.

Heimat in der Fremde

Fabian Gießler, Bauhaus-Universität Weimar (17 Min.)
Weimar West, eine abgeschiedene Plattenbausiedlung und Vorort der Kultur- und Universitätsstadt: hier leben verschiedene Generationen so genannter Russlanddeutscher. Ihre Vorfahren zogen als Siedler aus Deutschland nach Russland, um sich eine neue Existenz auf zu bauen. Bis zum Zerfall der Sowjetunion wurden sie dort jedoch als Fremde angesehen. Nun leben sie in Deutschland und sind erneut Ausländer. In eindringlichen Interviews schildern sie ihre zumeist schmerzhaften Erinnerungen, aber auch ihre Perspektiven und Träume in der fremden Heimat. Fabian Gießler gewann mit seinem Dokumentarfilm den zweiten Preis beim Bundeswettbewerb Video der Generationen: „Nicht nur die sehr gute Auswahl der InterviewpartnerInnen, sondern auch die offensichtlich starke Vertrauensbasis schaffen eine Atmosphäre von Offenheit, Ehrlichkeit und Nähe. Gerade deshalb bleibt „Heimat in der Fremde“ nicht bloße Zustandsbeschreibung, sondern weckt Interesse für die Schicksale der Protagonisten. Die Bilder sind schlicht und prägnant, in einem gut gewählten Erzähltempo montiert, und unterstreichen die Intention des Filmes.“ (Jurybegründung)