75. Sendung am 28. April 2013
Wednesday, 06. Nov 2013
Im April jährt sich das Schulmassaker im Erfurter Gutenberg-Gymnasium zum elften Mal. Aus diesem Anlass zeigt Unicato mit „Die vierte Gewalt“ einen Spielfilm aus Ilmenau über einen fiktiven Amoklauf an einer Universität.
Die Welt scheint sich immer schneller zu bewegen. Viele Menschen fühlen sich gehetzt, gestresst und ausgebrannt – ein typischer Nährboden für soziale Konflikte. Und oft mündet gesellschaftlicher Druck in brutaler Gewalt. Die Amokläufe an den Gymnasien in Winnenden und Ansbach 2009 und in Erfurt vor elf Jahren sind Beispiele, die auch für die Medien ein wichtiges Thema waren. Doch was hat die Gesellschaft aus diesen Amokläufen gelernt? Das ist der Hintergrund für den Spielfilm “Die Vierte Gewalt”, der von Studierenden der Technischen Universität (TU) Ilmenau produziert wurde.
Die Autoren haben ihre Geschichte in ein fiktives Universitätsstädtchen verlagert. Dort verlangt der beinharte und zynische Professor Rothmann ein gnadenloses Arbeitspensum von seinen Studenten. Für die fleißige Lilly scheint das Medien-Studium die einzige Chance zu sein, ihrer einfachen Herkunft zu entkommen. Letzter Ausweg aus ihrer Verzweiflung über den unmenschlichen Leistungsdruck scheint ein Amoklauf. Mit vorgehaltener Waffe will sie von ihrem Professor ein Geständnis – er soll seine Taten bereuen.
Für die Medien ist Lilly eine eiskalte Täterin, den Professor verklären sie zum Helden. Doch so einfach ist die Wahrheit nicht. Wie viel erträgt ein Mensch in einer Gesellschaft, die Leistung zum höchsten Gut erklärt hat. Und welche Mitschuld tragen die Medien?
„Die vierte Gewalt“ ist ein erstaunlich professionell produzierter Langspielfilm, den die Studierenden ursprünglich als so genanntes Bergfest-Filmvorhaben begonnen haben. Doch mit der Arbeit an dem Projekt stiegen die Ansprüche. Seine Qualität verdankt das Drama der routiniert wirkenden Kameraarbeit und nicht zuletzt den professionellen Schauspielern. Für den Cast konnten die Studierenden so manchen Coup landen: Malin Steffen (Franziska) sammelte bereits in Michael Hanekes Oscar-prämierten Spielfilm „Das weiße Band“ Schauspielerfahrung, Marie Luise Stahl (Lilly) war unter anderem in “Bibi Blocksberg und das Geheimnis der blauen Eule” zu sehen und Matthias Winde spielte schon in “Tatort” und “SOKO Leipzig” mit. Alle Nebenfiguren in “Die Vierte Gewalt” wurden von Studierenden dargestellt.
Mehr als 100 Studierende arbeiteten ein Jahr lang an der Planung und Vorbereitung des Spielfilms. Die Dreharbeiten erstreckten sich über einen Zeitraum von mehr als einem Monat, gedreht wurde in High Definition. Der Spielfilm wurde ausschließlich über Spenden und Sponsoren finanziert, alle Beteiligten arbeiteten ehrenamtlich. Produziert wurde er von der Ilmpressions Filmproduktion des Vereins für Kulturelle Koordination an der TU Ilmenau.
Amoklauf in deutschen Schulen
Der ehemalige Schüler Robert Steinhäuser zog am 26. April 2002 mit einer Pumpgun und einer Pistole durch das Schulgebäude und tötete 17 Menschen, darunter 12 Lehrer. Steinhäuser beging nach der Tat Selbstmord. Der Amoklauf von Erfurt war nicht die erste Tat dieser Art in Deutschland, schockierte die Öffentlichkeit aber insbesondere durch die hohe Zahl der Todesopfer. Als Motiv für Steinhäusers Tat wurde im Nachhinein ein aus seiner Sicht ungerechtfertigter Schulverweis und damit verbundene Zukunftsängste angenommen.
Als Prototyp des so genannten „School Shootings“ in Deutschland gilt der Amoklauf von Saarbrücken am 25. Mai 1871. Damals tötete Julius Becker mit einem Revolver zwei Mitschüler am Saarbrücker Gymnasium, weil er sich von ihnen gedemütigt fühlte. Der Täter wurde wegen Unzurechnungsfähigkeit frei gesprochen.
Der letzte schwere Amoklauf an einer deutschen Schule ereignete sich am 17. September 2009 am Gymnasium Carolinum in Ansbach. Ein 18-jähriger Schüler mit psychischen Problemen verletzte zwei Mädchen schwer, als er mit Molotowcocktails, Messern und einem Beil einen Klassenraum überfiel. Der Täter selbst überlebte und wurde zu neun Jahren Jugendarrest und anschließender unbefristeter Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik verurteilt. Vor Gericht gab er an, in der Schule gemobbt worden zu sein. Dies löste in der Öffentlichkeit eine breite Debatte über die Mobbingproblematik in der Schule aus.
Das Schlimmste konnte am Februar diesen Jahres an einem Gymnasium in Wernigerode gerade noch verhindert werden, als eine 15-jährige Schülerin mit einer Schreckschusspistole in ihrer Klasse um sich schoss. Zwei Mitschüler wurden leicht verletzt. Das Mädchen war bereits mehrfach auffällig geworden, da es zwei Jahre zuvor in einer anderen Schule Feuer legte und anschließend mit einem Messer auf einen Mitschüler losging.
Die Folgen
Dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium folgte eine internationale Solidaritätswelle für die Opfer und Hinterbliebenen, führte in Deutschland aber auch zu einer gesellschaftlichen Diskussion über die Sicherheit der Schüler, Mobbing und Leistungsdruck im „System Schule“. So wurden bundesweit Maßnahmen ergriffen, um weiteren Gewalttaten an Schulen entgegenzuwirken. Neben technischen Umrüstungen einzelner Schulen (Türknaufe statt Türgriffe, Farbleitsysteme etc.) sollten vor allem schulpsychologische und sozialarbeiterische Konzepte greifen. Dazu gehört die Stärkung der emotionalen Kompetenz und des Selbstbewusstseins der Kinder, die offene Diskussion und Thematisierung von Mobbing und der Abbau von Schulängsten.